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Bayerische Meisterschaft 2023

Bayerische Meisterschaft 2023

Abschlussbericht:

Vom 20. - 26. August findet in Rosenheim die bayerische Einzelmeisterschaft 2023 statt.

Von Sauwald nehmen mit Philipp Biedenkopf und Richard Kaiser auch zwei Spieler teil, beide haben sich über die Bezirksmeisterschaft in Niederbayern qualifiziert. Genau wie in Schwarzach und Spilimbergo ist auch wieder Philipps Schachfreund, der zurzeit schier unaufhaltsame Lukas Stöttner (oben Rechts im Bild) dabei.

Das Turnier ist so stark besetzt wie nie zuvor: 48 Teilnehmer sind Rekordverdächtig, darunter 11 FMs und insgesamt nur zwei Spieler, welche deutlich unter das 2000-Niveau abfallen - ein echtes Haifischbecken. Mit neun Runden in sieben Tagen wird es definitiv sehr fordernd. Philipp nahm bereits letztes Jahr teil, und konnte da mit 5/9 Punkten ein hervorragendes Ergebnis in der oberen Hälfte (Platz 19 von 42) erzielen. Im Gasthof Höhensteiger im Rosenheimer Stadtteil Westerndorf lässt es sich immer gut spielen, dort fand dieses Jahr bereits auch das "Millennium" - IM-Normturnier sowie die bayerische Schnellschachmeisterschaft statt. Auch ist das Turnier wesentlich professioneller gestaltet als letztes Jahr - es gibt eine Live-Übertragung der ersten sieben Bretter auf lichess.org, alle Partien werden eingegeben und es gibt sogar einen offiziellen Photographen mit Bildern auf der Homepage des bayerischen Schachbundes.

Sonntag:

Die erste Runde ging bereits sehr fordernd los: Richard durfte an Brett 2 gegen den jungen und zur Zeit auf der Jagd nach IM-Normen durch Europa (unter anderem Spilimbergo und Teplice) reisenden FM Tobias Kolb (FIDE 2302) antreten. In der klassischen Carlsbader Bauernstruktur konnte er jedoch keinen Königsangriff starten und war daher die ganze Partie dazu verdammt, den gegnerischen Minoritäts-Angriff auf der Damenseite abzuwehren. Nach langem Kampf musste er sich dann im Läuferendspiel geschlagen geben.

Philipp hatte ebenfalls einen sehr starken Gegner, Sebastian Böhme, welcher mit einer DWZ von 2270 auf Rang 7 der DWZ-Startliste gesetzt war. Philipp gelang jedoch ein schockierender und vernichtender Sieg: in einer vollkommen einseitigen Partie hatte er einen starken Angriff auf den gegnerischen König und bereits auf Zug 22 war er eine Figur vorne, sein Gegner ließ ihn dann noch bis zum Matt (Zug 31) weiterspielen.

Auch Lukas erreichte ein guter Start: an Brett 1 gelang ihm ein müheloses und nie gefährdetes Remis gegen FM Manfred Heidrich (FIDE 2332), und das mit Schwarz in der ungeliebten Alapin-Eröffnung.

Noch ein paar Randnotizen: im Gegensatz zu letztem Jahr nimmt dieses Jahr mal wieder eine Frau in der allgemeinen Gruppe teil. Zwar findet parallel eine bayerische Frauenmeisterschaft statt, diese ist jedoch mal wieder äußerst dürftig besetzt (nur acht Teilnehmer, niemand über 1700), sodass Steffi Arnhold (FIDE 2110) dieses Jahr in der allgemeinen Gruppe antritt, was auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten definitiv am Sinnvollsten ist.

Auch kurios: üblicherweise machen die beiden Erlanger FMs Lukas Schulz und Eduard Miller als klare Favoriten das Turnier unter sich aus. Nachdem sie jedoch Sonntag Vormittag noch die letzte Runde der deutschen Meisterschaft in Ostfildern (bei Stuttgart) spielten, war es ihnen logischerweise rein logistisch nicht möglich, um 16 Uhr in Rosenheim zu sein. Daher wurden sie gegeneinander gelost und ihre Partie auf Montag Vormittag (die zweite Runde ist Montag Nachmittag) verlegt. Ein äußerst großzügiges Entgegenkommen der Turnierleitung und des Schiedsrichterteams, jedoch mit dem offensichtlichen Nachteil, dass es die Auslosung der ersten Runde minimal durcheinander bringt und die Auslosung der zweiten Runde um einen halben Tag verzögert. Dies stellt eine gewisse Beeinträchtigung für den Rest der Teilnehmer dar, vor allem, da es äußerst unwahrscheinlich ist, dass zwischen den beiden Freunden etwas Anderes als ein schnelles Remis rauskommt, und das beim üblicherweise stark allergisch auf Verspätungen reagierenden Schiedsrichter Pernpeintner - nennen wir es das "Bayerischer Meister - Privileg".

Insgesamt jedoch ein guter Start in das Turnier, die zweite Runde kann kommen. Die Ergebnisse und Übersichten finden sich hier:

Ergebnisse

 Montag:

Die zweite Runde ist durch, und viel Zeit bleibt nicht; am Dienstag findet die erste Doppelrunde statt, deswegen hier kurz die Zusammenfassung vom Montag:

Richard wählte ein eher unorthodoxes d6-c6-Qa5 gegen den jungen und starken Mircea (2085 DWZ), bekam jedoch gutes Gegenspiel am Königsflügel und konnte die Partie gewinnen - definitiv eine starke Leistung dafür, dass er nach eigener Aussage "in Rosenheim nur Urlaub macht".

Philipp spielte gegen Peter Uebele (2168 FIDE). In einer hochkomplexen Partie im "Chamäleon-Sizilianisch" musste er jedoch den Kürzeren ziehen.

Der Held des Tages war jedoch wieder einmal Lukas Stöttner. Er bezwang in einer sehr überzeugenden Partie niemand Geringeren als den amtierenden bayerischen Meister und Erstgesetzten FM Schulz (2347 FIDE). Der Turnierfavorit muss jetzt mit 0,5/2 das Feld von unten aufrollen, während Lukas morgen seinen dritten FM Gegner in Folge bekommt. Es ist einfach nicht zu fassen, wie Lukas seit dem Abschluss seines Abiturs durchstartet.

Dienstag:

Der Dienstag war dann der erste von zwei Tagen mit Doppelrunde; im Gegensatz zum Montag funktionierte dieses Mal auch die Klimaanlage, sodass die Hitze zumindest einigermaßen erträglich war.

Philipp startete den Tag gegen den stets humorvollen Ediz Kozak (2176 DWZ), welcher im Vorjahr mit 6,5/9 Punkten den dritten Platz erreichen konnte. Gegen Philipp sah er jedoch kein Land und wurde im Mittelspiel komplett überrannt. Dieser machte sich jedoch mit ungewöhnlich schlechtem Zeit-Management (noch fünf Minuten auf Zug 20 ist beinah "Michel-like") und unnötigen Komplikationen das Leben sehr schwer, sodass am Ende nur ein Remis bei raussprang. Kein schlechtes Ergebnis, aber das muss man halt gewinnen.

Richard bekam ebenfalls ein Königsindisch aufs Brett gegen FM Thomas Niedermeier (FIDE 2223). Eine absolut verrückte Partie endete in einem Endspiel mit Dame + zwei verbundene Freibauern gegen Turm, Springer und Läufer; jedoch waren die weißen Figuren unkoordiniert und der König offen, sodass Richard den Kürzeren zog.

Das machte er am Nachmittag jedoch wieder wett: sein Gegner, Ulrich Ziemann (2013 DWZ), verlor in der nachmittäglichen Hitze früh die Konzentration und musste sich bereits nach 12 (!) Zügen mit einer Figur weniger geschlagen geben.

Philipp hatte am Nachmittag etwas Pech mit der Auslosung, er bekam Bayerns Supertalent und ehemaligen Deutschen U14-Meister Markus Albert (2256 FIDE) zugelost. Dieser ist neben seinem außergewöhnlichem taktischen Talent und Schnelligkeit (2353 FIDE Blitz Elo und 2900 lichess bullet) vor allem dafür bekannt, seine Partien stets mit dem "Linksspringer" (1. Nc3 mit Weiß und 1...Nc6 mit Schwarz) zu beginnen. Gegen so viel Talent musste Philipp nach 30 Zügen die Segel streichen.

Damit steht Richard bei 2/4 und Philipp bei 1,5/4 Punkten nach den ersten Tagen. Definitiv ein guter Start, vor allem; wenn man die extreme Hitze und den geradezu absurd hohen Eloschnitt der Gegner (über 2200 bei Philipp) im Haifischbecken Rosenheim bedenkt.

Auch der bereits erwähnte Lukas Stöttner konnte seinen unglaublichen Lauf fortsetzen und spielte am Dienstag zwei Mal Remis, gegen FM Petro Lohvinov und FM Roland Schmid. Gegen beide spielte auch nur er auf Sieg und vor allem gegen Schmid hätte er verwerten müssen.

Mit 2,5/4 Punkten ist er jedoch trotzdem nicht weit von der Spitzengruppe entfernt, welche gerade mit 4/4 Punkten von Augsburgs Vorzeigetalent Sebastian Reimann (21 Jahre und 2323 DWZ) angeführt wird. Am morgigen Mittwoch um 14 Uhr geht es weiter.

Mittwoch:

Die fünfte Runde, Halbzeit im Turnier, lief leider nicht ganz nach Plan. Richard bekam Titelverteidiger FM Schulz zugelost, welcher (wie bereits erwähnt) nach seinem miserablen 1/3 Start weiter damit beschäftigt ist, von unten aufzuholen. Richards Position sah auch wegen dem passiven g7-Läufer lange gut aus, jedoch brachen irgendwann die schwarzen Figuren gegen seinen König durch - Sieg Schwarz.

Philipp spielte gegen Jan Kessler (2150 DWZ). Er stand ebenfalls lange gut, übersah jedoch kurz vor Zug 40 einen fiesen rückwärtigen Springerzug. Nach einigem Chaos kam dann ein Turmendspiel mit einem drei Bauern gegen Springer - Ungleichgewicht bei raus, in welchem wie durch ein Wunder der schwarze g-Bauer alles überlebte, was zur Verwertung für Schwarz ausreichte. Eine sehr knappe Niederlage also.

Shootingstar Lukas Stöttner behielt seine "Unbeaten-Streak" gegen Andreas Lang (2274 DWZ) bei und erreichte ein nie gefährdetes Remis mit Schwarz, wodurch er weiter Kontakt zur Spitzengruppe hält.

Am morgigen Donnerstag gibt es die zweite Doppelrunde und mit Sicherheit die ersten Weichenstellungen bezüglich der vorderen Plätze, und hoffentlich wieder Siege für Team Sauwald.

Donnerstag:

Auch der Donnerstag verlief leider nicht wie gewünscht. Richard kramte gegen Tobias Dietlmeier das Gurgenidze-System aus dem Eröffnungsschrank, jedoch ohne Erfolg. Philipp gewann aus der Eröffnung bereits zwei Leichtfiguren gegen Turm und Bauer, musste dann jedoch feststellen, dass die resultierende Position ziemlich schlecht war, und letztlich nicht mehr zu retten. Damit brachte die sechste Runde genau wie die fünfte Runde zwei Niederlagen für uns.

Die siebte Runde verlief auch nicht viel besser. Philipp, der wirklich keinen guten Tag hatte, kam zu seiner Frustration gegen den schwächeren Moritz Sesselmann nicht über ein Remis hinaus, und das trotz der wie üblich sehr angenehmen Eröffnungsposition.

Auch Richard konnte leider keinen Sieg beisteuern. Gegen Robert Luhn (2034 DWZ) wählte er denn weiterhin im Sauwald beliebten Grand-Prix-Angriff (vgl. z.B. den Bericht aus Ratten), zerstörte früh mit e6-Nf7 die schwarze Rochadestellung und setzte Schwarz beinahe auf der h-Linie Matt, letztlich konnte Schwarz jedoch verteidigen und die Partie noch drehen.

Mit 0,5/4 daher ein gebrauchter Tag für uns im Sauna-Haifischbecken Rosenheim.

Noch zwei Kuriositäten: vor der fünften Runde stieg mit FM Thomas Niedermeier bereits die dritte Person aus dem Turnier aus. So viele Turnierabbrüche gab es bei einer halb gespielten bayerischen Meisterschaft wohl noch nie; die Hitze und das brutale Turnier fordern wohl ihre Opfer.

Des Weiteren kam es zu dem äußerst seltenen Ereignis, dass eine Partie genullt wurde - der erst 12-jährige Constantin Stichter hatte mit seinem Kumpel, dem bereits erwähnten Markus Albert, etwas zu viel Spaß (Schwarz wurde am Ende mit fünf Springern Matt gesetzt), sodass Schiedsrichter Pernpeintner am Ende beiden einen Null-Punkt gab. Definitiv etwas kontrovers, mal sehen, ob es noch eine offizielle Stellungnahme geben wird; denn technisch gesehen lief alles regelkonform.

Zum Rest des Doppelspieltages: unser Freund Lukas Stöttner spielt weiter sehr starkes Schach, schafft es jedoch weiterhin nicht, die Partien auch zu gewinnen, und steht jetzt bei satten fünf Remis in Folge. Ganz vorne steht neben Sebastian Reimann mit 5,5/7 Punkten jetzt auch der Münchener Student FM Lars Goldbeck, welchen Michel und Simon in Italien kennen lernen durften. Noch zwei Runden, noch ist alles möglich!

Freitag:

In der vorletzten Runde ging es dann wieder etwas aufwärts. Richard kam gegen den weiter solide spielenden Moritz Sesselmann genau wie Philipp nicht über ein Remis hinaus, obwohl er eine recht komplexe Holländisch-Position aufs Brett bekam, und wird morgen die letzte Runde aussetzen.

Philipp spielte mit Schwarz gegen Realschullehrer Johannes Paar (1997 DWZ) eigentlich eine ziemlich miese Partie, konnte die Position jedoch genug verkomplizieren, um den Gegner in seiner Zeitnot dann doch noch taktisch zu überlisten. Einer dieser Siege, über den man sich dann auch nicht wirklich freut.

Lukas verlor seine erste Turnier im Turnier, mit Weiß ein Damenendspiel in einer chaotischen Schottisch-Partie gegen FM Robin Schlichtmann (FIDE 2277), gegen welchen Philipp letzte Woche in Bad Aibling noch Remis spielen konnte. 

Noch ein Nachtrag zu gestern: Auf Nachfrage erklärte Schiedsrichter Pernpeintner, die Annullierung der Partie von Markus Albert auf Regeln 11.1 der FIDE-Regeln zu stützen - "Die Spieler dürfen nichts unternehmen, dass dem Ansehen des Schachspiels abträglich sein könnte". Er begründete es ferner damit, dass es unsportliches Verhalten ist, als 2256-Elo-Spieler jemanden nicht direkt Matt zu setzen, sondern sich erst noch ein paar extra Springer für Matt zu holen. Ob das jetzt eine zu strenge Regelauslegung zu Lasten zweier Jugendlicher oder eine sinnvolle Erinnerung an den Sportsgeist bei einem solch prestige-trächtigen Wettbewerb darstellt, bleibt jedem selber frei zu beurteilen.

 Morgen um 09:00 Uhr gibt es dann die neunte und letzte Runde.

Samstag:

Sebastian Reimann heißt der neue bayerische Meister 2023! In einem spannenden Finale gewannen beide Sebastian Reimann und Lars Goldbeck ihre Partien und beendeten das Turnier auf dem geteilten ersten Platz mit jeweils 7/9 Punkten. Beide qualifizieren sich damit für die deutsche Meisterschaft und Reimann darf sich dank der minimal besseren Feinwertung (ein einziger Buchholzpunkt!) nun erstmals bayerischer Meister nennen. Definitiv verdient, nachdem er das gesamte Turnier über führte und vor zwei Jahren in Lichtenfels bereits Dritter wurde. Titelverteidiger und Erstgesetzter FM Schulz beendete das Turnier trotz einer starken Aufholjagd nur mit 5,5/9 Punkten auf Platz 8, was eigentlich schon alles über die Stärke des Turniers aussagt.

Richard setzte wie bereits erwähnt die letzte Runde aus und wird bei der Innviertler Meisterschaft nächstes Wochenende in Taufkirchen wieder angreifen. Philipp spielte kurioserweise genau wie letztes Jahr in der letzten Runde gegen den 19-jährigen Regensburger Artur Steinhauer (2043 DWZ). Im Gegensatz zu letztem Jahr konnte er diesen jedoch nicht wieder bezwingen, sondern dieser konnte Revanche nehmen. Immerhin Lukas konnte die letzte Runde nochmal gewinnen.

Damit beendet Richard das Turnier mit 2,5/8 Punkten und Philipp mit 3/9 Punkten, also ganze zwei Punkte weniger als im Vorjahr. Kein wirklich gutes Ergebnis; aber wie bereits erwähnt war es ein äußerst forderndes Turnier, und insbesondere Philipp hatte mit dem täglichen stundenlangen Pendeln, den gleichbleibend starken jungen Gegnern und der extremen Hitze zu kämpfen. Trotzdem wieder eine gute Erfahrung auf hohem Niveau - mit der Innviertler Meisterschaft geht es weiter.

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